Ein Jahr ins gelobte Land! Hier erfahrt ihr mehr über mein Leben vor Ort.

Samstag, 3. März 2012

2. Rundbrief



2.        Rundbrief

Inhalt: Land, Kultur, Politik, Religion 


Liebe Familie, Freunde und Bekannte,

die Halbzeit meines Auslandsjahres ist nun erreicht. Vorgestern bin ich von dem einwöchigen Zwischenseminar in Haifa zurückgekommen. Viel ändern wird sich vorerst nicht für mich. Dennoch ist mir meine jetzige Position durchaus bewusst. Die Gedanken an die nun absehbare Zeit und meine Rückkehr nach Deutschland setzen das letzte halbe Jahr in eine angenehme Atmosphäre.

In diesem Rundbrief möchte ich ein bisschen über das Leben in Israel außerhalb der Arbeit und des Projekts berichten.

  1. Das Land

Israel ist ein sehr spezielles Land und das in vielerlei Hinsicht. Rein geographisch gesehen sehr vielseitig und das obwohl es sehr klein ist. Im Norden grenzt es an den Libanon und Syrien an. Die von Israel besetzten Gebiete Syriens in den Golan- Heights (Sechstagekrieg 1967) sind sehr weit nördlich und somit im Unterschied zu weiter südlicheren Gebieten sehr kühl. Das bedeutet im Winter auch Schnee. Die Berglandschaft ist sehr beeindruckend und ist gerade wegen seiner strategisch wichtigen Lage ein unverzichtbarer Bestandteil des heutigen Israels. Mit Syrien hat Israel nach dem 6 Tage Krieg nur einen Waffenstillstand ausgehandelt, sodass den Golan- Heights auch heute noch eine militärisch äußerst wichtige Position zukommt. Inwiefern dies von aktueller Brisanz ist sollte man in Deutschland anhand der Nachrichtenerstattung gut abschätzen können. Zwar sind die Golan Heights heute ein beliebter Wander- und Ausflugsort für Touristen und Israelis, ein Regimewechsel in Syrien könnte sie jedoch wieder zu ihrer alten Funktion zurückführen.

Weiter südlich in der Nähe des Mittelmeers sind es die mediterranen Temperaturen vergleichbar mit dem spanischen Sommer, die Tel Aviv und sein riesengroßes Anziehungsfeld zu dem machen was es ist. Viele vergleichen das Lebensgefühl mit Miami. Erst kürzlich hörte ich wieder die Bezeichnung „The Big Orange“ und so vergessen sich in dieser pochenden Großmetropole die Gefahr und die Probleme der Welt. Tel Aviv ist Tel Aviv und liegt im Flachland am Mittelmeer. Der Gazastreifen ist nicht in unmittelbarer Nähe, aber eine potentielle Gefahr durch Raketen besteht. Raketeneinschläge gab es noch nie und so wiegt sich der moderne Mensch in der illusorischen Sicherheit, dass die Hochhausfassaden ihrem mächtigen Anblick gerecht werden mögen.  
Nur 45 Autominuten östlicher kommt man nach Jerusalem, welches sich in einer mehr hügeligeren Landschaft zeigt. Umsäumt von Hügeln liegt es nur wenige Kilometer entfernt von dem Westjordanland in welches man nur durch vereinzelte Checkpoints in der Mauer zwischen beiden Verwaltungsbezirken gelangt.
Südlich von Tel Aviv liegt Be`er Sheva, welche die letzte große Stadt vor dem Beginn der Negev Wüste ist. Die Negev ist eine, zum Großteil steppenartige Zone, die jedoch je südlicher man ihr folgt immer sandiger wird. Ganz im Süden liegt Elat. Elat bildet die letzte große israelische Stadt. Sie liegt auf der keilförmigen südlichen Spitze Israels. Westlich liegt die Grenze nach Ägypten und östlich grenzt es an Jordanien. Von hier aus schließt sich eine Wüstenlandschaft auf beiden Seiten an. Die Bewohner sind die Beduinen, die seit Jahrhunderten die Wüste durchstreifen und mit ihren Tierherden auf der Suche nach Grasflächen die Steppe durchstreifen. Dabei passieren sie die Landesgrenzen oft unbemerkt, was ein nicht unerhebliches Sicherheitsproblem für Israel darstellt. Im Gegensatz zu den nördlichen Nachbarn gibt es im Süden einen Friedensvertrag mit Ägypten. Die langjährigen Handelsbeziehungen haben dazu geführt das Ägypten als erstes arabisches Land einen Friedensvertrag mit seinem jüdischen Nachbarn geschlossen hat. Sorge besteht seitens Israel nun bezüglich des Regimewechsels. Mubarak konnte trotz fragwürdiger Führung den Friedensstatus stets aufrecht erhalten. Inwiefern die neue ägyptische Führung diese Interessen weiter verfolgen wird ist nicht klar, es gibt aber begründete Sorgen gerade im Hinblick auf die antiisraelische Haltung großer Teile der ägyptischen Bevölkerung.

  1. Kultur

Die jüdische Kulturgeschichte ist eine vielseitig geprägte und deshalb vielleicht eine der vielseitigsten die es in unserer modernen Welt noch gibt. Da sich die Juden lange Zeit in den unterschiedlichsten, vor allem christlich geprägten Kulturräumen aufgehalten haben war ihre Kultur stets eine sehr introvertierte. Die jüdische Kultur war nie universell konstant sondern stets flexibel. Wenn auch die Generalpunkte des Glaubens übereinstimmen so gab und gibt es immer noch geographisch bedingte Unterschiede. Ein russischer Jude hat sich nicht äquivalent zu seinem Glaubensgenossen in Spanien entwickelt und umgekehrt. Prinzipiell sind sogar erhebliche Unterschiede möglich. So essen viele russische Juden auch unkoscheres Fleisch, da die praktische Notwendigkeit der Integration im Ursprungsland zu einer kulinarischen Kulturüberlagerung geführt hat.
Grob verallgemeinert spaltet sich die jüdische Kultur heute in 3 Teilgruppen auf. Diese sind die ultraorthodoxen Juden, orthodoxe und reformierte Juden.

Den ultraorthodoxen Juden liegt sehr viel daran den Glauben ihrer Väter originalgetreu zu praktizieren. Religion entzieht sich keinem Bereich ihres Lebens. Der Idealzustand eines ultraorthodoxen Juden ist vereinfacht gesagt ein Leben für und mit der Thora.   

Die orthodoxen Juden sieht man bei uns öfters mal im Fernsehen. Geht es wieder einmal um den illegalen israelischen Siedlungsbau auf palästinensischen Gebieten, so sind die schreienden und wild gestikulierenden Gestalten orthodoxe Siedler. Das ist zwar stark verallgemeinert aber gerade die orthodoxen Juden sind stark zionistisch geprägt. Sie sind das Fundament auf dem Theodor Herzl seine Vision eines Judenstaates konzipierte.

Die reformierten Juden sind westlich geprägt und ein Großteil von ihnen würde sich wohl selbst als modern bezeichnen. Die religionsübergreifende Heirat wird unter ihnen toleriert. Ein orthodoxer Jude würde aber schon alleine aus dem Gedanken des „Kulturbewahrens“ heraus nie eine andersgläubige Frau heiraten.
Inwiefern man die reformierten Juden nun als Teil der jüdischen Kultur sieht sei einmal dahingestellt.

Israel ist ein Einwanderungsland und so habe ich erst letzte Woche eine nette Besichtigung eines badischen Dorfes in der Nähe von Haifa genossen. Es handelte sich bei dieser kleinen Auswandererkolonie um einige Juden die der „Schoah“ (großes Unglück) in Deutschland entkommen konnten. Unter damals noch britischem Mandat wurde eindrücklich die schwere Zeit der Integration beschrieben. Was aber auch hier auffiel, und deshalb erwähne ich es, ist die Tatsache, das dieses kleine badische Dorf und seine Bewohner neben der deutschen Sprache auch viele andere kulturelle Eigenheiten mit sich nach Israel brachten. Als Einzelbeispiel genannt könnt ihr euch sicherlich den Grund vorstellen warum sich 1948 viele Juden gegenseitig kaum verstanden und Probleme miteinander hatten und zum Teil auch immer noch haben. Die Kulturgeschichte Israels setzt sich aus vielen kleinen zusammen und ich habe nur eine grobe Zusammenfassung geleistet. Der kulturelle Zwist ist einer der Hauptgründe warum Israel stets politische Probleme und Uneinigkeiten hatte und immer noch hat.

  1. Politik, Religion 

Wenn man von Israel spricht macht es Sinn Politik und Religion zusammen zu betrachten. Keine andere Religion wird so sehr in einen Zusammenhang mit dem Wort „Volk“ gebracht wie das Judentum. Diese Volksgruppe definiert sich über die Religion. Religion und Staat sind untrennbar miteinander verbunden. Allein diese Tatsache birgt die Hoffnung der Juden in sich selber den Halt in der Welt zu finden und die Naivität abzulegen zu glauben, dass man auf andere vertrauen kann. Die tapferen Hebräer der Bibel sind das Vorbild Israels, das Bild des Schwachen muss verwischt werden. Stärke durch Zusammenhalt und Zusammenhalt durch Glauben. Ben Gurions Philosophie und Vision lebt durch die Zeiten hinweg und ist vielleicht heute mehr denn je politischer Alltag. Israel kann keinen Frieden mit der Vergangenheit schließen weil die Vergangenheit Grund seiner Existenz ist.
Wer diesen Spagat nicht versteht wird Israel nie verstehen können und genau das ist das Verständnisproblem mit der arabischen Welt. Das liegt zum einen an mangelnder Aufklärung und zum anderen an unvergleichbarem Leid, das Israel über große Teile der Araber in Palästina gebracht hat. Wurden die Juden selbst noch Mitte des letzten Jahrhunderts verfolgt und vertrieben so war es diese psychische Angst die Israels Politik immer schon sehr offensiv und eiskalt hat machen lassen.
Von Beginn an war Israels Ziel stets Landgewinnung. Nachdem 1948 der Staat ausgerufen wurde, wurde in systematischen „Verteidigungsmanövern“ immer wieder die Landesgrenze an neue „Verteidigungslinien“ angeglichen. Das heutige Israel befindet sich deshalb zu großen Teilen auf unrechtmäßig, eroberten Terrain. Mit diesem Fakt muss sich Israel auseinandersetzen kann es allerdings nicht, weil seine Psyche geschädigt ist. Ja, Israels Seele hat Verfolgungswahn. Was Israel tun sollte ist es sich nun um die arabischen Nachbarländer kümmern. Das Industrieland Israel hätte die einzigartige Möglichkeit Nächstenliebe praktisch auszuüben. Rein aus dem Wohlstand heraus. Die Angst hindert sie allerdings daran und so regieren sie lieber mit eiserner Hand und blinder Ignoranz die arabischen Länder, in denen sich durch pure Not und Armut Hass entwickelt. Was ist mehr verlangt? Das das reiche Israel, das kluge Israel einen Verarbeitungsprozess durchläuft oder, dass das arme Palästina Gewalt und Armut erfährt und dann noch versteht, dass die Juden aufgrund ihrer Vergangenheit psychisch krank sind? Ich glaube persönlich ersteres ist wesentlich realitätsnäher.

So oder so ähnlich gestaltet sich das Leben um mich herum in Israel. Ich versuche hier stets zu differenzieren. Ich höre die Israelis, ich höre die Araber, Ich höre die Nachrichten. Ich lese die Zeitungen aus Deutschland. Was ich hier ausgebreitet habe ist mein Verständnis der Lage.


Ich schicke noch allerbeste Grüße,
über meinem Blog halte ich euch auf dem neusten Stand.

Liebe Grüße,
Peter